Headshaking

Verfasser der Artikel ist soweit nicht anders vermerkt Dr. C. A. Bingold, Pferdeklinik Großostheim

Kopfschütteln - eine Krankheit die den Reiter zur Verzweiflung bringt

Da das Thema "Headshaking" - auf Deutsch bezeichnet man es als Kopfschütteln - ein Fallzahlen mäßig zunehmendes Problem darstellt, habe ich mich vor etwa 10 Jahren entschlossen dazu einmal etwas umfassender auszuholen. Inzwischen findet man zu diesem Thema auch in Deutschland viele Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften und im Internet. Der nachfolgende Artikel ist in seiner überarbeiteten Form das Ergebnis von mehr als 15 Jahren Beschäftigung mit der Klinik dieser Erkrankung. Die Bezeichnung Kopfschütteln ist eigentlich nicht ganz korrekt, da es in der Regel eher ein abruptes  Kopfschlagen ist.
 

Situation

Vornehmlich im Frühjahr und den Sommermonaten werden Tierärzten Pferde vorgestellt, die praktisch unreitbar sind, da sie unter dem Reiter permanent mit dem Kopf schlagen Eine stetige Anlehnung an das Gebiss ist nicht erreichbar, die Pferde konzentrieren sich nicht auf die Arbeit. Den Reiter kann dies schier zur Verzweiflung bringen, bei manchen Pferden wird das Reiten sogar gefährlich oder unmöglich.

Eine neue Erkrankung ist dies nicht. Literaturquellen gehen zurück bis auf das Jahr 1809. Damals wurde das Martingal als das einzig wirksame Mittel empfohlen.

Zur Definition des Headshaking werden inzwischen drei klassische Verhaltensweisen herangezogen. Mindestens zwei dieser Verhaltensweisen müssen vorhanden sein, damit man von  Headshaking sprechen kann.

  1. Ruckartiges plötzliches nach oben schnicken des Kopfes ohne jegliche Vorwarnung
  2. Ausdruck einer Reaktion, die man normalerweise erwarten würde, wenn ein Insekt in die Nase geflogen ist oder in die Nüstern gestochen hat
  3. Reiben der Nase an den Beinen, als wollten die Pferde etwas von den Nüstern abwischen

Weitere Symptome sind:

  • Manche Pferde schütteln auch den Kopf
  • Niesen oder Schnauben, als würde ein Fremdkörper in der Nase stecken
  • Saisonales Auftreten in den Frühjahrs- und Sommermonaten mit zunehmender Tageslichtlänge
  • Vermehrte Symptome bei grellem Sonnenlicht und Wärme
  • Zunahme bei Arbeit und Stress
  • Überempfindlichkeit bei Pollenflug und vielen Insekten in der Luft
  • Versuche direktes Sonnenlicht zu vermeiden, sofern die Möglichkeit besteht

In Deutschland ist die Unterteilung in 5 Gruppen entsprechend dem Schweregrad üblich:

  1. Gelegentlich treten leichte Symptome wie Zittern er Gesichtsmuskeln oder Schnaubenauf, das Pferd ist reitbar.
  2. Symptome treten regelmäßigunter identischen Bedingungen auf, geringgradige klinische Anzeichen, das Pferd ist reitbar.
  3. Deutlich ausgeprägte Symptome wie Kopfzucken, Kopfschlagen oder Treten mit dem Vorderbein in Richtung Kopf, das Pferd ist reitbar aber nicht angenehm und schwierig zu kontrollieren.
  4. Das Pferd ist nicht zu kontrollieren und nicht reitbar.
  5. Es kommt zu gefährliche Verhaltensweisendes Pferdes mit teilweise bizarren Verhaltensmustern.

Pferde aus den Gruppen 3 oder höher sind auf Turnieren faktisch nicht startberechtigt auch wenn sie bzw. gerade wenn sie behandelt werden.

Problem

Das Problem dieser Krankheit ist nach wie vor in der überwiegenden Zahl der Fälle unlösbar, da  diagnostisch kein ausreichender Ansatz zu finden ist. Anders lautende Versprechen sind leider nicht realistisch. Die Pferde müssen diagnostisch “auf den Kopf gestellt” werden ohne dass in den meisten Fällen eine schlüssige Ursache für das Kopfschütteln gefunden werden kann. Die Frustration ist dem entsprechend bei Reitern und Tierärzten gleichermaßen groß. Die Tierarztkosten sind nach Untersuchung aller Möglichen Ursachen oft nicht unbeträchtlich.

Man muss aber betonen, dass Untersuchungen durchaus Sinn machen. Denn wenn man eine Ursache ausfindig machen kann, hat man die Chance das Headshaking zu heilen, was sonst unmöglich ist.

Forscher der Universität Davis in Kalifornien hatten vor einigen Jahren als Ursache eine Überempfindlichkeit gegenüber grellem Licht vermutet. Nach ihrer Auffassung  handelt es sich um eine Erkrankung vergleichbar einer Licht bedingten Reizung der Nase beim Menschen. Da das Headshaking mit der Exposition gegenüber Licht zusammenhängt, haben es die Forscher in den USA "photoic headshaking" benannt. Zumindest in Deutschland ist eine Lichtempfindlichkeit aber nicht die Grundursache sondern eher ein Begleitphänomen des Headshaking.

Licht wird inzwischen als einer von vielen möglichen Auslösern angesehen, wobei es immer noch ein sehr starker Auslöser zu sein scheint. Chronisches Headshaking, weiß man inzwischen, ist mit Sicherheit eine Antwort auf Schmerz und nicht Ausdruck von Frustration oder Unwillen gegenüber dem Reiter. Primäre Schmerz- oder Reizherde im Bereich des Kopfes und Genickes dürften häufige Auslöser sein.  Solche Schmerzquellen können unter Anderem im Ohr, im Zahn- und Kieferbereich, in den Nebenhöhlen des Kopfes, dem Luftsack oder Veränderungen am Genick und den oberen Halswirbeln sein.

Inzwischen geht man davon aus, dass der Trigeminusnerv das eigentlich erkrankte Organ ist. Der Trigeminusnerv ist ein großer Gesichtsnerv, der unter anderem die Kaubewegungen steuert und für sensorische Wahrnehmungen im Gesicht verantwortlich ist. Der Trigeminus Nerv versorgt unter anderem die Nüstern und den Nasengang mit sensorischen Fasern. Davon ausgehend, dass Headshaking der Trigeminusneuralgie des Menschen ähnelt, muss von erheblichen Schmerzwahrnehmungen für das Pferd ausgegangen werden. Das Gefühl kann man sich vielleicht etwa so vorstellen, wie wenn ein Weidezaungerät an den Gesichtsnerv angeschlossen wäre (angenehme Vorstellung? Nicht wenige Menschen mit Trigeminusneuralgie - bei denen sich der Schmerz etwas anders äußert - treibt es in den Selbstmord).

In schwächeren Fällen haben die Pferde vermutlich ein juckendes Gefühl in der Nase, das sie durch das Kopfschütteln und Abwischen der Nüstern beseitigen wollen. Was die Pferde wirklich empfinden ist schwer nachzuvollziehen. Ob es sich um einen schmerzhaften Zustand handelt oder die Nase nur juckt, kann man leider nicht überprüfen. 

Das grundlegende Problem bei dieser Nervenerkrankung scheint zu sein, dass die Reizschwelle für die Stimulation des Nerven drastisch herabgesetzt ist. Das heißt, ein Stimulus bzw. ein Ereignis, das im Normalfall noch lange nicht zur Reizung des Nerven führt, löst sofort ein völlig übertriebenen Superreiz aus, der dann vom Gehirn als Schmerzsignal empfunden wird. Auslöser sind die ganz alltäglichen natürlichen Reize durch Licht, Wind, Kälte, Staub oder Regentropfen wobei die Auswahl von Pferd zu Pferd spezifisch schwankt. Eine Zunahme der Durchblutung der Nasengänge scheint die Fehlsensation zu verstärken.

Trigeminus

Abbildung des Trigeminusnerven und seiner Versorgunggebiete

 

Als mögliche auslösende Erkrankungen werden in der Literatur aufgeführt:

  • Hauterkrankungen
  • Ohrmilben
  • Pilzinfektionen des Luftsackes
  • Erkrankungen der Kopfnerven
  • Mittelohrentzündungen
  • Gefäßstörungen in den Nasengängen
  • Frei bewegliche Traubenkörner an der Iris des Auges
  • Gebißfehler
  • Fehlerhaftes Zaumzeug
  • Fehler des Reiters bzw. eine ungeschickte Hand
  • Allergene oder eine klassische Allergie

 Wir haben aber auch als Ursache eine Absprengfraktur mit Vernarbungen am 2. Halswirbel, Genickbeulen, die mehr oder weniger gut darstellbar waren (Talpa), eine Granne im Ohr und störende Wolfszähne gefunden.

Die Aufzählung ist mit Sicherheit nicht vollständig, da sämtliche Reizfaktoren einzeln, eher aber in der Summe, Headshaking auslösen können. Forscher nehmen z. T. eine multifaktorielle Erkrankung an.

Wenn man allen Krankheitsursachen nachgehen will, muss man eine recht aufwendige Untersuchung des Pferdes vornehmen. Idealer weise werden folgende speziellen Untersuchungen durchgeführt:

  • Gebiss und Maulhöhle
  • Augenuntersuchung
  • Gehörgang otoskopisch
  • Luftsack endoskopisch
  • Nasengänge und obere Atemwege endoskopisch
  • Kiefergelenk röntgenologisch
  • Schädel, Zähne und obere Halswirbelsäule röntgenologisch
  • Anästhesie des N. infraorbitalis
  • Allregie Test
  • Computertomografie oder MRI des Kopfes

Keine der möglichen Erkrankungen  kann von seltenen Ausnahmefällen abgesehen wirklich als Ursache nachgewiesen werden.

Bei einer großen Zahl der Kopfschüttler (ca. 90%) ist die Ursache nicht ermittelbar. Diese Form wird als idiopathisches Headshaking bezeichnet.

 

Warum erkranken manche Pferde an dieser Krankheit?

Auch wenn bislang nichts wirklich geklärt ist, scheint einiges darauf hinzudeuten, dass Herpesinfektionen mit EHV -1 Viren ursächlich beteiligt sind. Charakteristisch für Herpesinfektionen ist die Persistenz der Erreger. Die Herpesviren verstecken sich in den Nervenzellen vor der Immunabwehr des Körpers. Man spekuliert nun, dass bei Stress und / oder zunehmender Wärme durch Arbeit oder Umgebungstemperatur diese Viren Aktivität entfalten und im Gehirn zu einer vermehrten Reizbarkeit führen. Sonst ganz normale Reize werden jetzt wesentlich stärker wahrgenommen.

In der Regel beginnt die Erkrankung nicht vor einem Alter von sechs Jahren. Man nimmt inzwischen an, dass als Basis der Entstehung der Erkrankung hormonelle Fehlsteuerungen eine Rolle spielen, die jahreszeitlich gebunden sind. Evtl. spielt Melantonin, das von der Hirnanhangdrüse tageslichtabhängig produziert wird, für das saisonale Auftreten eine Rolle. Die Hirnanhangdrüse ist für saisonale Zyklen verantwortlich und somit ein übergeordnetes Steuerorgan.

Bewiesen ist aber wie gesagt noch nichts.

Lösung

Entgegen z. T. anders lautenden Versprechungen gibt es für die allermeisten Pferde keine befriedigende Therapie, sofern nicht eine spezifische Ursache ausfindig gemacht werden kann. Die Therapie richtet sich somit meist lediglich gegen die Symptome.

Ansatzpunkte die wirksam sind:

  • Medikamentelle Therapie mit Cyproheptadine oder Carbamazepine
  • Vermeidung direkter Sonneneinstrahlung
  • Reiten in den Morgen- bzw. Abendstunden
  • Während der Tageszeit Unterbringung in abgedunkeltem Stall
  • Verwendung dunkel eingefärbter Kontaktlinsen für Pferde
  • Licht reduzierende Kopfmasken
  • Ablenkung an den Tasthaaren der Nüster durch Nüsternabdeckungen oder Fransen

In den meisten Fällen müssen mehrere Maßnahmen gleichzeitig eingesetzt werden, um einen befriedigenden Erfolg zu erzielen. Das Video auf der nächsten Seite zeigt dies am Beispiel des Einsatzes von licht reduzierenden Masken und einer Nüsternabdeckung.

Die praktische Umsetzung der möglichen Maßnahmen ist in der Realität nicht unproblematisch. Zum einen ist Cyproheptadine weder als Fertigarzneimittel erhältlich noch ist es offiziell als Medikament für Pferde zugelassen. Tierärzte haben lediglich die Möglichkeit für jeden Einzelfall in Apotheken, die die Rohsubstanz verarbeiten, gegen Rezept das Medikament anfertigen zu lassen.

Ein Problem bei der Gabe von Cyproheptadine ist in der Eingewöhnungszeit die erhöhte Neigung zu Krampfkoliken. Wir raten daher die Dosis über die ersten 2 Wochen langsam auf die notwendige Tagesdosis zu erhöhen, um den Organismus langsam an das Medikament zu gewöhnen.

Der Wirkungsmechanismus von Cyproheptadine beruht auf seiner Einwirkung auf Botenstoffe im Gehirn (anticholinerge, antiserotonin und antihistamin Wirkung) wobei die Aktivität des Trigeminus Nerven gedämpft wird. Durch die Dämpfung der Aktivität nimmt die Überempfindlichkeit ab.

Carbamazepine wird beim Menschen zur Epilepsie Behandlung und bei Trigeminusneuralgie eingesetzt. Die Nebenwirkungen sind wesentlich geringer als bei Cyproheptadine. Im Alllgemeinen hat sich der Einsatz von Carbamazepine durchgesetzt.

Die Exposition gegenüber der direkten Sonneneinstrahlung kann man durch mehrere Maßnahmen einschränken, ist aber eben auch problematisch. Der Nachteil der Kontaktlinsen ist deren Preis und das Handling. Turniere kann man nicht auf die Abendstunden beschränken und das Abdunkeln des Stalles ist auch nicht immer praktikabel.

Inzwischen benutzen wir mit ganz gutem Erfolg Augenmasken die aus einem speziellem Gewebe gefertigt sind, die die Lichteinstrahlung stark reduzieren, die Sicht aber dennoch nur wenig behindern. Auf der Weide und zum Reiten zu Hause funktioniert das häufig sehr gut. Bewährt hat sich bei vielen Pferden auch eine Abdeckung der Nüstern. Die Wirkung beruht vermutlich auf einer Ablenkung des Reizes über eine permanente Stimulation der Tasthaare. Aber auch dies ist nicht geklärt. Auf dem Turnier ist die Verwendung von Augenmasken und Nüsternabdeckungen verboten.

         Lichtschutzmaske  Augenmaske und Nasenschutz

Cyproheptadine oder Carbamazepine erhalten sie über Ihren Tierarzt (Wenn dies Schwierigkeiten verursacht helfen wir Ihnen), beide Medikamente sind nicht für das Pferd zugelassen. Die Augenmasken und den Nasenschutz gibt es bei www.innohorse.de oder in unserer Klinik.

Wenn es sich nicht um photosensitives Kopfschütteln handelt, kommt  als Ursache auch eine Innenohrentzündung in Frage. Wenn diese länger anhält, entsteht eine Arthrose am Gelenk des Zungenbeines.

Die Folgen einer Innenohrentzündung sind nur durch eine röntgenologische Untersuchung feststellbar. Diese muss in Narkose durchgeführt werden, da die Lagerung für die Aufnahme sonst vom Pferd nicht toleriert wird und die Aufnahmen von sehr guter Qualität sein müssen.

Therapeutisch kann versucht werden, den infektiösen Prozeß über eine 30 tägige Gabe von Antibiotika (Trimetoprim-Sulfonamid) in Kombination mit Butazolidin zur Eindämmung der Entzündung zu bekämpfen. Innenohrentzündung sind beim Pferd sehr selten.

Wenn das nicht hilft, wird die Möglichkeit beschrieben operativ vorzugehen und ein Segment des Zungenbeines zu entfernen.

Die Neurektomie des Nervus infraorbitalis bringt leider nur unvorhersehbare Resultate.

Bei Genickbeulen (Talpa) ist die Therapie meist sehr unbefriedigend da schwer behandelbar. Es handelt sich hier um äußerlich mehr oder weniger sichtbare erworbene Schleimbeutel, die im Genickbereich Druck verursachen, was bei manchen Pferden mit Kopfschütteln quittiert wird. Die Behandlung erfolgt nach röntgenologischer und Ultraschaluntersuchung entsprechend den Befunden durch Punktion oder einen operativen Eingriff.

Oerationsverfahren, wie beim Menschen häufig als letzter Weg zur Behandlung der Trigeminus Neuralgie möglich, sind derzeit beim Pferd zu gefährlich bzw. unmöglich.

Inzwischen hat auch die Tierärztliche Hochschule Hannover ein Projekt zur Erforschung des Headshaking gestartet. Neue Ergebnisse liegen bislang nicht vor.


Der Autor übernimmt ausdrücklich keine Haftung für aus diesen Seiten abgeleitete Maßnahmen, für angegebene Dosierungen, Nebenwirkungen oder Schäden in Folge der Anwendung von Präparaten oder Maßnahmen. Die Dosierung ist im Einzelfall zu prüfen. Die Präparate dürfen nur von Tierärzten angewandt werden. Die Zulassung der Präparate für das Pferd ist im Einzelfall zu prüfen. Nicht für das Pferd und für die jeweilige Indikation zugelassene Medikamente anzuwenden ist strafbar.


p1
  Headshaking Video 

Copyright 2011  Dr. C. A. Bingold. Eine Weiterverbreitung, Verarbeitung gleich welcher Art und der Ausdruck ist abgesehen vom persönlichen Eigengebrauch nicht gestattet.