Definition: Die Abweichung von der Geraden, wenn die Gliedmaße von der Seite betrachtet wird.
Bei Sehnenfehlstellungen ist primär das Weichteilgewebe betroffen (Muskeln, Sehnen, Bänder, Gelenkkapseln). Bei der Geburt ist das Weichteilgewebe bereits vollständig angelegt. Was fehlt ist die Anpassung an die Belastung des Körpergewichts. Die Ausreifung zur funktionalen Kapazität erfolgt in den ersten Tagen nach der Geburt bzw. im frühen Wachstumsalter. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die neuromuskuläre Entwicklung, denn der Muskeltonus hat sehr großen Einfluss auf die Entwicklung von Knochen, Sehnen und Gelenken. Ein falscher Muskeltonus bedingt daher viele Fehlentwicklungen der Gliedmaßen. Da der Muskeltonus über Nervensignale gesteuert wird, spricht man von neuromuskulären Fehlsteuerungen. Die Folge einer solchen Fehlsteuerung ist eine unnatürliche Gelenkstellung sowie eine fehlerhafte Belastung von Gelenken und Knochen. Die grundlegenden neuronalen Verschaltungen und Einstellungen sind angeboren, wodurch beim Pferd ein sofortiges Stehen und Laufen möglich ist. Weitere Feineinstellungen verfestigen sich binnen kurzer Zeit nach der Geburt, wobei das „fine tuning“ von Haltung und Bewegung in dieser Phase abhängig ist. Was in dieser Zeit einprogrammiert wird, lässt sich in der Folge dann schwer wieder ändern. Die ersten Wochen sind damit das Zeitfenster für Ausbildung vieler Fehlstellungen.
Bei Sehnenfehlstellungen können folgende Strukturen betroffen sein:

Die oberflächliche Beugesehne mit Unterstützungsband (blau) und dazugehörigem Muskel (rot)
Die tiefe Beugesehne mit Unterstützungsband (gelb) und Muskel (rot)
Der Fesselträger, der nur eine sehnige Verbindung zwischen seinen Anheftungsstellen darstellt (grün)
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Beugesehnen und Fesseltrageapparat am Vorderbein
Die Ursache einer Sehnenfehlstellung kann angeboren und bei der Geburt bereits vorhanden sein oder im Verlauf des Wachstums im Sinne einer Wachstumsstörung nach der Geburt entstehen. Dabei gibt es zwei gegensätzliche Erscheinungsformen.
- Schwäche des Beugeapparates
- Beugesehnenkontraktur
Schwäche des Beugeapparates
Eine Schwäche des Beugeapparates tritt meist bei unreifen Fohlen auf und verursacht eine Durchtrittigkeit. Dabei spielt neben einer zu geringen Vorspannung der Beugesehnen auch die angesprochene neuromuskuläre Fehlsteuerung eine Rolle. Der Fesselkopf sinkt weit nach unten ab oder federt zu stark durch. Das Karpalgelenk ist evtl. nach hinten durchgedrückt, im Extremfall zeigt die Zehenspitz nach oben und der Fesselkopf berührt den Boden. Abhilfe schafft man in moderaten Fällen allein schon durch moderate Bewegung mittels Training der Muskulatur und der Reflexbögen. Bei ausgereiften Fohlen behebt sich das Problem mit ausreichend Bewegungsmöglichkeit binnen weniger Tage von alleine. In schwereren Fällen sind weitere Maßnahmen notwendig.
 
Folgen der Schwäche des Beugeapparates
Maßnahmen bei Durchtrittigkeit
Wenn eine Verletzungsgefahr der Haut oder des Ballens besteht, müssen Schutzverbände angelegt werden. Nicht zu viel Bandagieren, da sonst der Belastungsreiz vermindert wird. Behebt sich das Problem nicht binnen weniger Tage, muss eine Trachtenverlängerung angebracht werden. Bei Trachtenverlängerungen sollte man hinsichtlich Bewegung vorsichtig sein, da erhebliche Hebelkräfte am Huf mit Folgeschäden auftreten können (Schädigung des Hufbeinträgers mit Rotation des Hufbeins).
 
Klebeeisen mit deutlicher Verlängerung der Trachtenunterstützungsfläche zur Verhinderung des Hochkippens der Zehe bei einem 3 Monate alten Fohlen (Tiefe Beugesehne zu lang)
Beugesehnenkontraktur
Im Gegensatz zur Beugesehnenschwäche liegt bei der Beugesehnenkontraktur einen „Verkürzung“ des Beugeapparates vor. Bei zu schnellem Wachstum oder länger anhaltenden Schmerzen mit ungenügender Belastung der Gliedmaße kann eine Kontraktur bzw. Verkürzung des Bindegewebes erfolgen. Die Verkürzung resultiert aus einen übermäßigen unangepassten Zug der Muskeln der Beugesehnen, eine Verkürzung der dazugehörigen Sehnen und Bändern oder einer Verkürzung und/oder einer Versteifung von Gelenkskapseln und Faszien.
Eine Verkürzung des Beugesehnenapparates verhindert ein normales Durchfedern der Gelenke. Dies äußert sich in einer Steilstellung der Gliedmaße oder unnatürlichen Beugehaltung der Gelenke. Auslösende Faktoren sind:
- Zu schnelles Wachstum
- Zu viel leicht verdauliche Kohlenhydrate in der Ration
- Zu wenig Bewegung
- Schmerzen in der Gliedmaße
Entsprechend der betroffenen Strukturen spricht man von Hufgelenkskontraktur, Fesselgelenkskontraktur, Karpalgelenkskontraktur, etc.
Einer Hufgelenkskontraktur liegt primär eine Kontraktur der tiefen Beugesehne zu Grunde. Die Form des Hufes ist zu Beginn normal, mit der Zeit stellt sich aber eine Veränderung zum Bockhuf hin ein. Die angeborene Form ist sehr selten. Die erworbene Form ist grundsätzlich in jedem Alter möglich tritt aber meist im Alter von 3 bis 6 Monaten auf.
  
Folgen einer Kontraktur der tiefen Beugesehne. Zu Beginn hat der Huf noch eine normale Form, im weitreren Verlauf entwickelt sich ein Bockhuf, evtl mit Rotation des Hufbeines wie hier abgebidet.
Eine Fesselgelenkskontraktur beruht auf einer Kontraktur der oberflächlichen Beugesehne. Evtl. kann auch eine Beteiligung von Fesselträger und tiefer Beugesehne vorliegen, was die Situation deutlich komplizierter macht. Fesselgelenkskontrakturen treten als angeborene Form sofort bei der Geburt auf, meist werden sie aber im Alter von 3 Monaten bis 2 Jahren erworben.
 
Folgen der Kontraktur der oberflächlichen Beugesehne
Oft ist eine eindeutige Zuordnung der verantwortlichen Strukturen schwierig oder unmöglich. Meist sind mehrere Strukturen gleichzeitig betroffen. Das Schema in Abbildung 11 veranschaulicht die komplexen Zusammenhänge.

Einfluss sehniger Strukturen auf Gelenkskontrakturen
Maßnahmen bei Beugesehnenkontrakturen
Die Therapierbarkeit hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn nur der Muskel betroffen ist, lässt sich eine Kontraktur relativ gut therapieren. Wenn hingegen Sehnen verkürzt oder Gelenkskapseln verhärtet sind, ist eine Kontraktur meist schwer reversibel. Nicht selten hilft dann nur ein chirurgischer Eingriff.
Bei den angeborenen Formen besteht die initiale Behandlung in maßvoller Bewegung (Bewegungseinschränkung). Wenn Schmerzen vorliegen, sollten Schmerzmittel gegeben werden, da Schmerzen die Kontraktur verstärken. Sehr gut bewährt hat sich die intravenöse Gabe von Oxytetracyclin. Die Wirkung dieses Medikaments ist in den ersten Tagen nach der Geburt am stärksten und lässt dann schnell nach. Man muss also frühzeitig therapieren, wenn man die Effekte dieses Medikaments ausnutzen will. Wenn binnen 1-2 Wochen keine Normalisierung eintritt, sollte eine Trachtenanhebung versucht werden. Auch das Eingipsen der Gliedmaße kann helfen, da die fehlende Belastung zu einer Erschlaffung der Beugestrukturen führt. Wenn keine ausreichende Besserung zu erreichen ist, muss eine Desmotomie (Durchtrennung eines Unterstützungsbandes) durchgeführt werden.
Im Fall einer Fesselgelenkskontraktur ist eine Anhebung der Trachten um ca. 10% sinnvoll, wobei eine Reduzierung der Bewegung eingehalten werden sollte bis Trachtenerhöhung abgebaut wird. Eine geringgradige Fesselgelenkskontraktur kann sich bis zum Alter von 2 Jahren spontan zurückbilden. Wird eine Operation notwendig, durchtrennt man das Unterstützungsband der oberflächlichen Beugesehne, je nach Sachlage muss man bei einer Fesselgelenkskontraktur zusätzlich auch das Unterstützungsband der tiefen Beugesehne durchtrennen.
Eine Hufgelenkskontraktur sollte sich binnen weniger Tage von alleine geben. Andernfalls ist schnelles Handeln gefragt, da eine Hufgelenkskontraktur nach kurzer Zeit nur noch schwer behandelbar ist. Generell sollte man eine Therapie mit Trachtenanhebung zur Entlastung der tiefen Beugesehne versuchen, eine Zehenverlängerung ist in den ersten Tagen wegen der ausgesprochen hohen Hebelkräfte sehr riskant. Wenn eine Operation notwendig ist, wird das Unterstützungsband der tiefen Beugesehne durchtrennt.

Weit fortgeschrittene Hufgelenkskontraktur vor und einen Tag nach der Desmotomie. In diesem Fall musste auch die tiefe Beugesehne durchtrennt und in der “richtigen Länge” wieder adaptiert werden, um eine ausreichende Korrektur zu erreichen. Aus diesem Grund musste zur Stabilisierung zusätzlich ein Klebeschuh angebracht werden. Die Fehlstellung auf der rechten Seite konnte im weiteren Verlauf konservativ korrigiert werden.
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