Kohlenhydrate

Verfasser der Artikel ist soweit nicht anders vermerkt Dr. C. A. Bingold, Pferdeklinik Großostheim

Die meisten Reheschübe, die akut mit plötzlicher hochgradiger Lahmheit verlaufen, werden durch spezifische Auslöser hervorgerufen. Da es sich bei den Auslösern um bestimmte Stoffe handelt, die dem Körper in zu großer Menge zugeführt werden, kann man in gewisser weise von “Vergiftungen” sprechen.

DIe wichtigste Rolle spielen hierbei bestimmte Kohlenhydrate. Kohlenhydrate sind Zuckerverbindungen. Sie unterscheiden sich biochemisch durch die Zusammensetzung der Zuckermoleküle und die Länge und Struktur der Ketten, zu denen sie zusammengesetzt sind. Einfache Zucker bestehen nur aus einem oder wenigen Bausteinen. Stärke, Fruktan, Pektin, Zellulose und Lignin sind komplexere Gebilde aus mehreren oder vielen verknüpften Zuckereinheiten.

Kohlenhydrate sind in unterschiedlichen Formen maßgebliche Bestandteile aller Pflanzen. Pflanzen bilden durch Fotosynthese Energieträger, die in Form von Kohlehydraten eingelagert oder zwischengespeichert werden. In Samen bzw. Getreidekörnern liegen diese Kohlehydrate in Form von Stärke vor, im Gras wird diese Energie häufig in Form von Fruktan abgelegt.

Die einfachen Zuckermoleküle sind relativ klein und dienen daher vor allem als bewegliche Energieträger. Die wesentlich größeren und komplizierteren Polysaccharide (langkettige Zucker) dienen abhängig von ihrer Größe als Speicher oder Zwischenspeicher von Energie. Andere Formen dienen als Gerüstsubstanzen der Pflanzen.

Kohlenhydrat

Vorkommen

Funktion

Glucose

Früchte, Honig

Grundbaustein

Fructose

Früchte, grüne Blätter, Honig

Grundbaustein

Saccharose

Am stärksten vertretener Zucker in Pflanzen (Rohrzucker)

Grundbaustein

Stärke

Samen, Früchte, Wurzeln - der Langzeitenergiespeicher

Speicherfunktion

Fruktan

Wurzeln, Äste, Grashalme, Blätter - der Energiezwischenspeicher

Speicherfunktion

Pektin

Stengel, Blüten, Blätter, Knollen, Wurzeln - Strukturelement

Struktur /Gerüst

Zellulose

Das am weitesten verbreitetes Polysaccharid der Pflanzen - Strukturelement in allen Bestandteilen

Struktur /Gerüst

Lignin

Schwer verdauliche “holzige” Faser im Holz und überständigen Grashalmen

Struktur /Gerüst

Je nach Komplexität sind die Kohlenhydrate unterschiedlich verdaulich. Die einfachen Zucker sind sehr leicht verdaulich, die Speichermoleküle sind etwas schwerer verdaulich, die Struktur und Gerüst Kohlehydrate sind schwer bis gar nicht verdaulich oder nur über den Umweg von speziellen Bakterien, die diese Substanzen knacken.

Der Verdauungstrakt des Pferdes ist so ausgelegt, dass leicht verdauliche Substanzen im Magen und Dünndarm aufgenommen werden. Die schwer verdaulichen Strukturkohlenhydrate werden im Dickdarm von den dort angesiedelten Bakterienkulturen aufgebrochen. Die dabei entstehenden kleineren Substanzen können vom Darm aufgenommen werden. Die verschiedenen Bakterienstämme sind hoch spezialisiert auf die verschiedenen Kohlenhydrate, die im Dickdarm ankommen. Je nach der Zusammensetzung des Futters ändert sich auch die Zusammensetzung der Bakterienflora im Darm.

KH1

Die Grafik zeigt vereinfacht, wie die Aufnahme von Nährstoffen im Verdaungstrakt bei normaler Futteraufnahme organisiert ist.

Die Zusammensetzung der Bakterienflora im Darm unterliegt einem sehr empfindlichen Gleichgewicht. Wird durch eine zu schnelle Futterumstellung die Darmflora überfordert, kommt es zu Verdauungsstörungen, da die Bakterienflora sich nicht schnell genug anpassen kann.

Werden plötzlich große Mengen leicht verdaulicher Kohlenhydrate aufgenommen, kommt es ebenfalls zu Problemen. Diese Probleme führen dann zur Hufrehe. Der Grund liegt darin, dass der Dünndarm die ankommende Menge leicht verdaulicher Kohlenhydrate nicht vollständig aufnehmen kann. Dadurch gelangen nennenswerte Mengen leicht verdaulicher Kohlenhydrate in den Blinddarm und Dickdarm. Dort haben sie nichts zu suchen, denn die Bakterienflora ist im Dickdarm nicht auf die Verarbeitung nennenswerter Mengen leicht verdaulicher Kohlenhydrate eingerichtet. Die Folge ist eine Übersäuerung des Darminhaltes, was ein Massensterben von Bakterien bewirkt, die das saure Mileau nicht vertragen. Hoch giftige Bestandteile der abgestorbenen Bakterien (Endotoxin) können jetzt durch die Darmwand in den Kreislauf gelangen. Die Folge sind Reaktionen an den Gefäßen, die eine akute Hufrehe auslösen.

 

KH203

Die Grafik veranschaulicht das Geschehen, wenn Zucker oder Srärke in zu großem Maß aufgenommen wird.

Das gleiche geschieht, wenn geringe Mengen eines leicht verdaulichen Kohlenhydrates aufgenommen werden, das vom Pferd normalerweise im Dünndarm gar nicht verarbeitet werden kann. Dies ist der Fall bei Fruktan. Fruktan wird vom Pferd im Dünndarm nicht verarbeitet bzw. resorbiert, weshalb es in den Dickdarm kommt. Dort hat es nichts verloren, weshalb es zu einer entsprechenden Störung der Bakterienflora und deren Folgen kommt.

 

KH3

Auf verschiedenen Wegen (die gezeigten sind nicht die einzigen) kann die Darmflora so gestört werden, dass eine Rehe ausgelöst wird. Das folgende Schema fasst die Vorgänge nochmals vergleichend zusammen.

Kohlenhydrate

 Fruktan

geringe Mengen

 Zucker / Stärke

große Mengen

KH4 KH4

Veränderung der Bakterienflora im Darm

KH4

Freisetzung bakterieller giftstoffe und körpereigener Botenstoffe

KH4

Zerstörung der Verbindungsschicht zwischen Hufbein und Hornkapsel

KH4

Hufrehe

Die genauen Mechanismen, Enzyme, Botenstoffe, die bei der Zerstörung eine Rolle spielen sind zum Teil eingehend erforscht, vieles liegt aber auch noch im Dunkeln. Da dieses Detailwissen nur Verwirrung stiftet und zu unserem Verständnis der Hufrehe nicht beiträgt, gehe ich nicht weiter darauf ein.

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