Weide/Fruktan

Verfasser der Artikel ist soweit nicht anders vermerkt Dr. C. A. Bingold, Pferdeklinik Großostheim

Einer der Verursacher bei der durch Grasaufnahme bedingten Rehe scheint Fruktan zu sein. Fruktan ist eine bestimmte in Pflanzen vorkommende Art von langkettigen Zuckern . Diese speziellen Zucker dienen in Pflanzen als kurzfristiger Energiezwischenspeicher. Bis zu 90% der Energie kann in Gräsern als Frukan gespeichert werden, der Rest in Form von Stärke. Die bisherige Annahme, dass Proteine der Auslöser für die Weide bedingte Rehe sind, ist falsch.

Warum Fruktan für Pferde so gefährlich ist bzw. Hufrehe auslösen kann, ist im Abschnitt über Kohlenhydrate erklärt.

Das folgende Diagramm zeigt die Wege, die bei der pflanzlichen Energieproduktion (Photosysnthese) eingeschlagen werden können.

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Ein entscheidender Unterschied zwischen Stärke und Fruktanen ist der Speicherort in der Pflanze. Stärke wird am Ort der Photosynthese also in den Blättern gespeichert, Fruktane werden im Stengel deponiert. Die Blütenstände von Gräsern können bis zu drei Mal mehr leicht verdauliche Kohlenhydrate beinhalten als die Blätter. Sie sind deswegen besonders süß, weshalb die Pferde sie bevorzugt fressen. Rechtzeitiges Mähen der Weiden führt daher zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Zucker. 

Die Fotosynthese der Pflanzen und damit die Produktion von Energie ist abhängig von Lichtmenge bzw. Sonneneinstrahlung sowie Wärme und dem Vorhandensein von Wasser und Luftfeuchtigkeit.

Je sonniger desto intensiver läuft die Fotosynthese und damit die Produktion von Energie und Energieträgern im Gras. Je wärmer und feuchter desto besser kann das Gras wachsen und die durch Fotosynthese gebildete Energie in Wachstum umsetzen. Wenn durch entsprechende Witterungs- und Tageslichtbedingungen mehr Energie und damit mehr Zucker gebildet werden, als für das Wachstum der Pflanze verwendet werden kann, beginnt die Pflanze die Zucker in Fruktan umzuwandeln, um die überschüssige Energie zwischenzulagern. Die Fruktan Energiespeicher werden dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgebaut und beim Pflanzenwachstum verwendet.

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Die Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen Temperatur/Wachstum und Sonneneinstrahlung/Energieproduktion in der Pflanze sowie deren Auswirkung auf die Fruktananreicherung

Die Schwankungsbreite des Fruktangehaltes kann enorm sein. Z. B. findet man in manchen Gräsern bei kühlem Wetter (etwa 8 °C) bis zu 200 mal mehr Fruktan als bei wärmeren Wetter (ca. 20 °C). Da das Gras bei den kühlen Temperaturen langsamer wächst, speichert es die überschüssige Energie vorübergehend in Form von Fruktan. Ist die Sonneneinstrahlung jedoch reduziert, bei bewölktem Wetter oder Regen, fehlt das entsprechende Licht und die Fotosynthese läuft nur auf Sparflamme, weshalb dann nur wenig Energie und auch nur wenig Fruktan gebildet wird.

  

Kaltes Wetter oder Nachtfrost

Kein Wachstum aber gesteigerte Fruktanspeicherung

Rehegefahr

Kaltes oder frostiges Wetter und strahlender Sonnenschein

Sehr hohe Energieproduktion und massive Speicherung von Fruktan, da kein entsprechendes Wachstum

Sehr hohe Rehegefahr

Bedeckter Himmel und warmes Wetter

Wenig Energieproduktion aber Wachstum

Geringe Rehegefahr

Warmes Wetter und genügend Feuchtigkeit

Energieproduktion aber Wachstum und Abbau der Fruktanspeicher

Mittelmäßige Rehegefahr

 

Da das Ganze doch recht abstrakt ist, im Folgenden noch einmal die durch Fruktan bedingte Rehegefahr auf der Weide bildlich dargestellt:

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Aus diesem Grund sollten rehegefährdete Pferde keinesfalls an einem frostigen und noch dazu sonnigen Morgen auf die Weide gelassen werden. Bei diesem Wetter sind die höchsten Fruktankonzentrationen zu erwarten. Das Gras kann wegen der Kälte nicht wachsen, die Energieproduktion läuft aber wegen des Sonnenscheins auf Hochtouren mit dem Resultat der Fruktananreicherung.

Die Menge der gebildeten Fruktane hängt aber noch von zahlreichen anderen Faktoren ab. Sie ist unterschiedlich je nach Pflanzenart, der unterschiedlichen Pflanzenbestandteile, dem Reifheitsgrad der Pflanze sowie der Tageszeit und saisonalen Effekten. Die Schwankungen in der Fruktankonzentration erfolgen binnen weniger Stunden, sodass am Morgen eine völlig andere Situation herrschen kann als am späten Vormittag oder Nachmittag.

Satte hohe Wiesen schätzen viele Pferdehalter als gefährlicher ein, abgemähte dagegen als unbedenklich. Nach dem augenblicklichen Stand der Dinge kann dies aber genau umgekehrt sein, muss es aber nicht. .

Da in den Grashalmen Fruktan in wesentlich höheren Konzentrationen gespeichert wird als in den Blättern, nehmen Pferde, die auf eine frisch abgemähte Weide kommen, unter Umständen wesentlich mehr Fruktan auf, als auf einer natürlich abgegrasten gut gepflegten Weide mit entsprechend hohem Blattanteil. Die stark abgegraste Weide ist pro Kilogramm Futter eher gefährlicher, da das Gras keine Blätter mehr hat und sich in den verbleibenden Halmresten überproportional viel Fruktan anreichert.

Aber so einfach ist es eben dann auch wieder nicht. Denn wenn nichts mehr zu fressen da ist (bzw. nur noch wenig Gras steht) kann auch nicht mehr viel Fruktan aufgenommen werden, was die Rehegefahr wiederum senkt. Umgekehrt können die Pferde, wenn sattes Gras mit hohem Blattanteil unbegrenzt zur Verfügung steht, soviel davon aufnehmen, dass auch bei geringem Fruktangehalt die Rehe droht.

Nicht nur der Fruktangehalt sondern die absolut aufgenommene Menge an Gras mit allgemein hohem Energiegehalt kann eine Rehe auslösen. Das ist in der Auswirkung ähnlich, wie wenn ein Pferd unkontrolliert den Futterwagen plündert!

Eine gute Methode zur Kontrolle der Futterauufnahme sind Weidemaulkörbe.

 
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Das hier abgebildete Modell hat sich in der Praxis gut bewährt.

Und noch eine Warnung, die gerade im Frühjahr wichtig ist: Jede plötzliche Futterumstellung kann die Darmflora durcheinander bringen und die Voraussetzung für eine Rehe schaffen. Besonders gefährdet sind Pferde die schon einmal eine Hufrehe hatten oder zum Metabolischen Syndrom neigen bzw. Cushing haben. Die Anpassung an eine neue Futtersituation dauert mindestens eine Woche. Also immer langsam an die Weide gewöhnen, auch wenn nur wenig Fruktan im Gras zu erwarten ist!

Ein zunehmendes Problem mit Fruktan könnte sich auf Grund von modernem Saatmaterial für Gräser entwickeln. Modernes Saatgut ist auf die Bedürfnisse der Rinderhaltung optimiert, d. h. es besteht ein Bestreben möglichst hohe Konzentrationen an leicht verfügbaren Kohlenhydraten in den Gräsern zu erzielen. Dies alleine ist für die meisten Pferdebestände schon wenig wünschenswert. Als Nebeneffekt treten dann auch noch höhere Fruktangehalte auf als in herkömmlichen Gräsern.

In unseren Breitengraden spielt eine gewisse Rolle, dass Gräser oft kälte- und frostunempfindlicher sein müssen als in warmen klimatischen Abschnitten und Fruktane von der Natur vermutlich als eine Art Frostschutz einsetzt werden. D. h. Gräser, die in unserem Klima gut gedeihen, sind tendenziell stärker Fruktanbelastet. Die Saatgutzucht scheint dies auch zu fördern. Probleme treten hier natürlich nur bei Neuansaaten oder Nachsaaten auf. In der Regel stehen Pferdeweiden aber schon lange, so dass ein traditioneller Grasbestand noch vorwiegt.

Der Fruktangehalt ist je nach Grassorte sehr unterschiedlich. Als besonders umstritten gilt das Deutsche Weidelgras, das in nahezu jeder Saatmischung enthalten ist. Es wir bevorzugt eingesetzt weil es wesentlich zur Entwicklung einer dichten Grasnarbe mit hoher Tritt- und Verbissfestigkeit bei trägt. Allerdings können hohe Anteile Deutschen Weidelgrases im Bestand unter den genannten Bedingungen zu vorübergehend hohen Fruktangehalten führen.

Am Anfang einer Neuansaat sollte immer eine Standortanalyse stehen. Ferner spielen die geplante Nutzungsart, die Nutzungsintensität und die Tierart, die die Aufwüchse nutzen soll, neben weiteren Faktoren eine Rolle. Auf der Grundlage dieser Überlegungen kann ein Grünlandberater eine optimale Zusammensetzung der Gräser- und Leguminosenarten ermitteln. Erst wenn die Frage der Grasarten geklärt ist, stellt sich die Frage der Gräsersorten, die hier aber nur eine untergeordnete Rolle spielt.

 Der Fruktangehalt korreliert nach Untersuchungen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen sehr eng mit dem Gesamtzuckergehalt der Gräser. Deshalb können wirklich relevante Effekte über die Wahl der Gräserarten erzielt werden.

Die Reihe der Gräserarten mit abnehmenden Zuckergehalten lautet:

  • Welsches Weidelgras
  • Deutsches Weidelgras
  • Wiesenrispe
  • Wiesenschwingel
  • Knaulgras
  • Rotschwingel
  • Wiesenlieschgras
  • Wiesenfuchsschwanz.

 

Um gezielt Grünlandaufwüchse – und damit Weide- und Winterfutter - mit niedrigen Fruktangehalten zu erzeugen, sollten in der Ansaatmischung die Gräserarten, die hohe Zuckergehalte aufweisen, in einem möglichst geringen Anteil enthalten sein. Eine Ansaatmischung, die sich gemäß Landwirtschaftskammer Niedersachsen gut für fruktanarme Pferdeweiden eignet, ist die Standardmischung G I mit Anteilen von 10 % Deutschem Weidelgras, 47 % Wiesenschwingel, 17 % Wiesenlieschgras, 10 % Wisenrispe, 10 % Rotschwingel und 6 % Weißklee. Diese wiesenschwingelbetonte Ansaatmischung zeichnet sich tendenziell durch geringe Fruktankonzentrationen aus und eignet sich für Weide- und Schnittnutzung. Da Wiesenschwingel wenig trittverträglich ist, sollte Weidegang nur im Wechsel mit extensiver Schnittnutzung, vorzugsweise zur ersten Nutzung, erfolgen.

 

Fazit:

Fruktan ist nicht der einzige Faktor bei der Auslösung von Rehe auf der Weide. Es gibt viele Faktoren, die einzeln oder zusammen eine Rehe auf der Weide auslösen. Vermutlich ist es bei uns in Europa eher ein Mix aus verschiedenen Faktoren als das Fruktan alleine, was die Hufrehe auslöst.

 

Wie sollte man sich nun Verhalten:

Da das Gras nicht immer gleich gefährlich ist, kann man durch entsprechendes Management die gefährdeten Pferde vor den kritischeren Zeitabschnitten und Weidebedingungen zu schützen versuchen. Die Rehegefahr durch Fruktane besteht generell über das ganze Jahr hinweg, schwankt aber wie beschrieben entsprechend der Witterung und Tageszeit.

Anhaltspunkte

  • Generell muss man bei Pferden mit Vorerkrankungen (Metabolisches Syndrom, Cushing, Hufrehe) besonders vorsichtig sein
  • Man sollte jeglichen drastischen Futterwechsel vermeiden.
  • Wann immer Gras gestresst ist, ist erhöhte Vorsicht geboten oder besteht Weideverbot
    • Bei starken kurzfristigen Klimaschwankungen mit Auswirkung auf das Gras (besonders im Frühjahr und Herbst) steigt die Gefahr erheblich
    • Bei Tagen nach Nachtfrost oder Temperaturen knapp über Gefrierpunkt (bis 5°) wird das Gras gefährlich
    • Am Nachmittag und Abend an einem kalten, trockenen sehr sonnigen Tag kann es kritisch werden
    • Auf überweideten oder frisch abgemähten Weiden ist das Gras ebenfalls gestresst
    • Trockenheit oder mangelnde Düngung sind Stressoren für Gras
  • Gras, das zu blühen beginnt, ist zwar eine Delikatesse aber gefährlich und sollte bei gefährdeten Pferden gemieden werden

 

  • Prinzipiell sollte man gefährdete Pferde (wenn alle anderen Faktoren berücksichtigt sind!) eher zu Tageszeiten auf die Weide schicken
    • zu denen die Photosynthese reduziert ist (bei Dunkelheit/Bewölkt) und
    • das Pflanzenwachstum begünstigt ist (Wärme und Feuchtigkeit hoch).
  • Bei entsprechenden Witterungsbedingungen kann es somit sinnvoll sein die Pferde spät nachts oder sehr früh am Morgen auf die Weide zu schicken und am Vormittag, wenn die Sonneneinstrahlung zunimmt, von der Koppel zu holen.

 

 

Die sicherste Weide hinsichtlich Fruktan:

Früher Morgen nach einer Nacht mit Temperaturen deutlich über 5°C in einer Wachstumsphase des Grases mit gut ausgebildeten grünen Blättern.

Die gefährlichsten Bedingungen hinsichtlich Fruktan:

Später Nachmittag oder Abend an einem sonnigen Tag, wenn das Gras vor oder in der Blüte steht, wenn das Gras stark gestresst ist oder zu jeder Tageszeit, wenn die Nachttemperaturen unter 5°C lagen.

 

Das Patentrezept gibt es nicht und wie so häufig machen neu Erkenntnisse Entscheidungen nicht leichter.

 

 

Fruktan im Heu

Generell muß man bei diesem Thema vor Panik und unnötiger Verunsicherung warnen. Fruktane sind zwar auch im Heu vorhanden, ob sie unter realen Bedingungen gesundheitsgefährdend sind, ist aber doch sehr fraglich.

Der Fruktangehalt von Heu, geschnitten auf der gleichen Wiese, kann unter Umständen abhängig von der Tageszeit, in der das Gras gemäht wurde, sehr stark schwanken. In der Regel wird an sonnigen Tagen bei warmer Witterung geschnitten, was bedeutet, dass eine eventuelle Fruktanansammlung in den Morgenstunden zum Nachmittag hin wieder abgebaut ist. Das bedeutet, dass Heu, welches in den Nachmittag- oder Abendstunden geschnitten wird, vermutlich weniger Fruktan enthält.

In den Blättern der Gräser läuft auch nach dem Schnitt während der Trocknungsphase noch für bis zu 50 Stunden die Photosynthese weiter, sofern sie noch nicht gepresst sind und damit keinem Sonnenlicht mehr ausgesetzt sind. Das geschnittene Gras liegt in der Sonne zum trocknen und weiß mit den Kohlehydraten nichts anzufangen, da es nun nicht mehr wachsen kann, weshalb vermutlich gerade in dieser Phase dann auch wieder Fruktane gebildet werden. Im Gegensatz zu Stärke sind Fruktane wasserlöslich, d. h. wenn es während der Trocknungsphase auf das Heu regnet, wird der Stärkegehalt im Heu nicht verändert, während Fruktan zu einem gewissen Prozentsatz ausgewaschen wird.

Die zum Zeitpunkt des Mähens bestehende Menge an Fruktanen im Gras erhält sich im Heu und in der Silage. Wer sich über den Fruktangehalt in seinem Raufutter nicht im Klaren ist, kann ihn seit kurzem bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen testen lassen. Durch die so genannte Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) kann mittels Infrarot-Bestrahlung der Fruktangehalt in Frischgras, Heu und Silage ermittelt werden.

Im Gegensatz zur lebenden Pflanze bzw. auch während des Trocknungsprozesses findet bei Heu und Silage keine Schwankungen des Fruktangehalts mehr statt, so dass hier die Ergebnisse sehr einfach in der Fütterung berücksichtigt werden können. Etwas komplizierter ist der Test bei Frischgras, da der im Moment der Probeentnahme gemessene Wert unter Umständen zwei Stunden später wesentlich höher oder niedriger liegt.

Der Test kostet pro eingeschickte Probe 35 Euro. Zusätzlich können auf Wunsch auch hygienische Beschaffenheit, Gärqualität, Nitrat-, und Mineralstoffgehalte untersucht werden. Die entsprechenden Formulare und weitere Infos gibt es im Internet auf den Seiten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.

Um den Fruktangehalt im Heu zu reduzieren, kann man sich die Wasserlöslichkeit zu Nutze machen. Wird das Heu mindestens eine Stunde eingeweicht, lässt sich ein Großteil der Fruktane herauswaschen.

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Der Autor übernimmt ausdrücklich keine Haftung für aus diesen Seiten abgeleitete Maßnahmen, für angegebene Dosierungen, Nebenwirkungen oder Schäden in Folge der Anwendung von Präparaten oder Maßnahmen. Die Dosierung ist im Einzelfall zu prüfen. Die Präparate dürfen nur von Tierärzten angewandt werden. Die Zulassung der Präparate für das Pferd ist im Einzelfall zu prüfen. Nicht für das Pferd und für die jeweilige Indikation zugelassene Medikamente anzuwenden ist strafbar.


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